Die Signora und ihr Feind
Giancarlo Bosetti 5 February 2008

Dieser Text ist die Einleitung des Buches von Giancarlo Bosetti “Cattiva Maestra. La rabbia di Oriana Fallaci e suo contagio” (Eine schlechte Lehrmeisterin. Die Wut der Oriana Fallaci und ihre Ansteckung), veröffentlicht von Marsilio im November 2005.

In dieser Geschichte gibt es ein vor und ein nach dem 11. September 2001. Vorher, war das Genre, das Oriana Fallaci ihren Welterfolg verliehen hat, der new journalism, der von Tom Wolfe, Truman Capote, Normain Mailer. Er wurde auch “subjektiver” Journalismus genannt. Und die Signora – ich nenne sie so, wie sie in ihren Büchern zeigt es zu mögen – interpretiert diesen auf äußerst originelle Weise, der Gebrauch der ersten Person führte den Leser zu einer vollen Identifizierung mit der Autorin, bis hin in die eigene Intimsphäre, in Freuden und Leiden. Ihre Virtuosität hat ihr das Tor zur Berühmtheit geöffnet, wie es normalerweise nur über das Medium Fernsehen in äußerst seltenen Fällen bei von Millionen Menschen geliebter Journalisten und Schriftsteller geschieht. Lesen wir nochmals ihre Korrespondentenberichte aus Vietnam aus dem Jahr 1968, in denen ein junger Amerikaner den Tod seines Freundes Bob erzählt, der von einer Explosion direkt neben ihm “in zwei Stücke geteilt” wurde und ihr seine Freude und gleichzeitig seine Scham anvertraut überlebt zu haben.

Oder die Beschreibung des Gesichts eines toten Vietcong. Von diesem Gesicht ausgehend, gelingt es der geschickten Inszenierungung des Artikels die Geschichte eines Volkes zu erzählen, das keinen Frieden kennt. Oder weiter, während des Golfkriegs im Jahr 1991, die berühmte Reportage über das Auftanken während des Flugs einer amerikanischen Phantom. Der Leser war dabei, gemeinsam mit ihr, in jener unbequemen Stellung, in einem Tankflugzeug mit dem ausgefahrenen “Rüssel” und auf der anderen Seite des Fensterglases ein unbekannter Pilot, der dir in die Augen schaute und dich fragte “Wer bist du? Was willst du?”. Es waren unvergessliche Begegnungen – für viele, sehr viele Leser – mit einer verführerischen und faszinierenden Wirkungskraft des Schreibens.

Der ironische Kommentar eines journalistischen Experten über seinen Beruf und seine Kollegen: wenn man diese Begabung nicht besitzt, hat es keinen Sinn sich über die Ungerechtigkeit zu beschweren, dass einige andere sie besitzen. Genau wie es unsinnig ist sich zu beklagen, dass die Kriegstagebücher einer unserer Vorfahren auf der Krim weniger Erfolg hatten als die von Tolstoj. Beide handelten auf der Krim, der Unterschied lag im Autor. Nennen wir es den “Krim-Tolstoj-Faktor”. Über die literarische Begabung der Signora wird man noch lange diskutieren und das Feld steht jedem offen, unabhängig von der mehr oder weniger neidischen Meinung der Literaturkritiker, Verlagshistoriker, Bewunderer. Doch dies wäre ein Thema, das mich eigentlich nicht betrifft. Mich betrifft es, weil es ein “nach dem 11. September” gibt. Nach diesem Ereignis, hat die Signora ihre früheren literarischen Projekte aufgegeben, ihren Roman, ihr “Kind”, um sich mit ganzer Seele einer persönlichen Kampagne gegen den Terrorismus zu widmen, eine grundsätzliche Kriegserklärung gegen Muslime als solche, gegen den Islam als solcher, gegen eine Religion als solche. Gegen den FEIND, den Drachen, das Monstrum.

Sie hat diese Kampagne eröffnet, mit ihrem Kapital an Popularität und ihren schriftstellerischen Begabungen, in einem Unterfangen, das ich als traurig empfinde, als unverschämt und als Komplize der geistigen Faulheit, die stets die Stereotypen nährt. Ihre Bücher, ihre Artikel, ihre Interviews dieser Jahre, enthalten eine Zutatenmischung, die in etwa der kompletten Liste an Abstraktheiten und Fehler entspricht, die man vermeiden sollte, wenn man wirklich den Dschihadterrorismus besiegen und die Kanaillen schwächen und isolieren will, die ihn nähren. Es handelt sich um Fehler, die das gegenteilige Ergebnis hervorbringen können, neue, noch schwerwiegendere und ausgeweitete Konflikte, neue Gewalt: die Art von Katastropfen, die in die Kategorie der sich selbst erfüllenden Prophezeiungen gehören. Wenn es mir gelungen sein soll jemanden davon zu überzeugen, dass es in unserer Möglichkeit als Menschen liegt, das wie und weshalb der interreligiösen, interkulturellen, interrassischen Beziehungen so zu gestalten, dass die unglückseligsten Vorhersagen sich erfüllen und wie und weshalb es in unserer Möglichkeit liegt, dies zu verhindern, werde ich die Freude empfinden mich nützlich zu fühlen.

Ich bin mit vielen Kommentatoren nicht einverstanden, die behauptet haben es sei sinnlos über die Thesen der Signora zu diskutieren, weil es sich um Gemütszustände handele und nicht um wirkliche Argumente. Ich bin damit nicht einverstanden, weil Wut und Stolz schlechte Ratgeber sind, schlechte Argumente vorgeben und nicht ohne Konsequenzen bleiben. Oft benennen und treffen sie falsche Zielscheiben, sie erweitern Konflikte, sie öffnen neue, sie lassen den Sinn für Mäßigung erlöschen, der fast immer der entscheidende Faktor für Lösungen in schwierigen Fällen ist. Wut und Stolz führen, außer zu praktischen Fehlern, zu Erkenntnisfehlern, zu kognitiver Verwirrung, sie zeigen einen Feind auf, wenn es sich lediglich um eine schreckliche Schwierigkeit handelt. Sie führen dazu, einem vorhandenen Feind Komplizen und Alliierte zuschreiben, die keine sind. Die Bücher der Trilogie sind authentischer Ausdruck einer “negativen” Denkweise, einer Argumentationsweise, die ein Problem nur im Rahmen eines Kontrastes einordnet, einer starken, übertriebenen Polarisierung, die keinen Ausweg zulässt, entweder mit uns oder mit ihnen: gleich welche Idee, Einwand oder Tatsache, alles kann “Wasser zur Mühle” tragen, zur eigenen oder zur anderen und alles wird nur unter dem Aspekt hinterfragt “wem nutzt es?”, “wem schadet es?” Es ist eine Form von absolutem, allesfressendem Relativismus, der alles auf den Konflikt und in Funktion des Konfliktes zurückführt. Man muss das Offensichtliche leugnen, dass die arabischen Zahlen arabisch sind und Aristoteles durch die arabischen Übersetzungen zu den Christen kam.

Diese Krankheit ist in Wirklichkeit eine alte Bekannte, die Ideologie genannt wurde und die ihre Rückkehr unter dem Mantel der “Identität” in großem Stil feiert. Die Bücher der Signora sind also kein isoliertes Phänomen und ihr Erfolg zeigt nicht nur den andauernden “Krim-Tolstoj-Effekt” (gesegnet diejenigen, die ihn besitzen), sondern sind auch eine Epidemie. Die Polarisierung in Freund-Feind ist die spezifische Essenz der Politik nach Carl Schmitt, doch es handelt sich dabei um eine Idee, die in Zeiten (1927) starker und verheerender Ideologiekonflikte entstanden ist. Ich rate weiterhin davon auszugehen, dass Politik in ihrer spezifischen Essenz auch die Aufgabe hat Probleme zu lösen. Und demzufolge auf die immer größer werdenden Kontraste auf politischer, moralischer Ebene und der Identität zu schauen, in Italien, in Europa, in Amerika, überall, wie an eine Art ansteckender Krankheit, die es unter Kontrolle zu halten gilt, wie eine Grippe mit Abkühlung durch Eisbeutel.

Und durch die Pflege einer genauen Kenntnis der Tatsachen. Das Feinddenken – so möchte ich es nennen – kann Unbeteiligte nicht weiter berühren, kann die zum Lachen bringen, die sich nicht im Kreis dessen befinden, was Pascal als Illusio bezeichnete, genau wie jemand, der nicht verliebt ist das Verhalten Verliebter als übetrieben, unüberlegt und lächerlich empfinden mag. Es empfindet es als übertrieben, wer sich “außerhalb” befindet, denn wer “innerhalb” ist, empfindet die Wirklichkeit in ihren kleinsten Details und lebt ihre unüberwindliche Offensichtlichkeit. Das gleiche gilt auch für Hass und Groll. Das Absinken in Hassgefühle hat große Ähnlichkeit mit dem Versinken in Liebesgefühle, es verändert sich die Interpretation der Welt. Wenn man einen FEIND in Großbuchstuben im Kopf hat, scheint alles Böse durch ihn erklärbar zu sein.

Ich wollte weder der Gleichgültigkeit noch dem “negativen” Denken als Gegenpol Terrain überlassen. Beim Lesen der dem FEIND gewidmeten Bücher der Signora, versuchte ich mich in einer, sagen wir methodologischen, Sympathieübung; ich versuchte mich so weit möglich in ihren Seelenzustand zu versetzen, in ihre Illusio, und vor allem in die ihrer Leser. Ich wollte nicht nur mein Nein zum “Orianismus” zu Papier bringen und dies dem Nein vieler anderer hinzufügen. Ich wollte die familiäre Verwandschaft besser verstehen, die dieser mit einem der größten und tückischsten Probleme unserer Zeit hat.

Übersetzung von Ruth Reimertshofer

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