Er gibt sich trotz der Probleme zufrieden mit den symbolischen Ergebnissen der Islamkonferenz, warnt aber davor, den Diskurs nur auf die Religionsfrage zu beschränken: „Die Menschen sind Muslime, aber ihr erster Bezugspunkt ist nicht der Islam, sondern ihre kulturelle Herkunft und die deutsche Gegenwart. Die Reduzierung der Muslime oder gar der gesamten Integrationsdebatte auf den Islam ist mehr als nur gedankenfaul; sie ist im Kern selbst fundamentalistisch.“
Was denken Sie über die Ergebnisse der Deutschen Islam Konferenz?
Insgesamt bin ich mit dem bisherigen Verlauf zufrieden. Die verschiedenen Gruppierungen unter den Muslimen merken, daß sie sich formieren müssen, um in der deutschen Gesellschaft gehört zu werden. Und der Staat spricht endlich direkt mit Muslimen. Allzu konkrete Ergebnissen zu erwarten, wäre allerdings nicht angebracht. Wie könnten sie auch aussehen? Keiner der Muslime, die eingeladen sind, ist legitimiert, stellvertretend für alle Muslime irgendetwas zu beschließen. Es ist ein Gesprächsforum von hohem symbolischen Wert, aber mit relativ geringen konkreten Gestaltungsmöglichkeiten.
Welche sind die dringendsten Fragen für die Integration der islamischen Gemeinde in Deutschland?
Der Bau von Moscheen und der Islamunterricht in Deutschland. Außerdem werden die Muslime in den nächsten Jahrzehnten, wie sie sich als Angehörige einer nicht-organisierten Religion so organisieren können, daß sie in einem Land wie Deutschland ihren instituionellen Platz finden, neben den Kirchen und den jüdischen Gemeinden. Das ist ein Prozeß, der gerade erst begonnen hat. Und vielleicht noch ein Punkt: Viele Muslime spüren in Folge der Anschläge islamistischer Terroristen, daß das Mißtrauen in der Gesellschaft wächst und die Berichterstattung in den Medien immer alarmistischer wird. Allerdings: Es ist die deutsche Öffentlichkeit, die die Menschen seit einigen Jahren zu Muslimen "macht". Tatsächlich sehen sich die Iraner, Türken, oder Libanesen gar nicht so sehr als zugehörig zu einer Gruppe, sondern sind eben Iraner, Türken oder Libanesen, zumal die sozialen Verhältnisse und der Bildungsgrad unter den muslimischen Einwanderern ganz unterschiedlich ist. Die Menschen sind Muslime, aber ihr erster Bezugspunkt ist nicht der Islam, sondern ihre kulturelle Herkunft und die deutsche Gegenwart. Sie sind auch Muslime, so wie Christen auch Christen, aber gleichzeit auch so vieles andere. Die Reduzierung der Muslime oder gar der gesamten Integrationsdebatte auf den Islam ist mehr als nur gedankenfaul; sie ist im Kern selbst fundamentalistisch.
Ist die islamische Gemeinde offen, gemäßigt und gut integriert? Und wie verändert sie sich in diesen Jahren?
Das kann man so pauschal nicht beantworten. Die meisten Muslime in Deutschland sind Einwanderer oder Einwanderkinder aus Anatolien. Entsprechend sind ihre Wurzeln eher ländlich und ihre Kultur entsprechend konservativ und patriarchalisch. Allerdings bringen sie auch nicht die politischen Probleme etwa der arabischen Welt ins Land. In der zweiten, dritten Generation ändert sich die Ansichten und Lebensweise, in alle Richtungen, hin zu einer neuen muslimische Liberalität, aber auch in den Extremismus. Es gibt nicht die eine große Tendenz.
Beeinflussen die letzten Entwicklungen in der türkischen Politik (eine nicht so säkuläre Regierung in Ankara) die türkische Gemeinde in Deutschland?
Das kann ich nicht genau beurteilen, weil ich mit meinem iranischen Hintergrund die türkische Gemeinde Deutschlands nicht so gut kenne, auch wenn ich in einem der multikulturellsten Viertel Kölns und damt Deutschlands wohne. Aber aus Gesprächen an der Ladentheke, in der Autowerkstatt oder im Teehaus würde ich keine Rückschlüsse auf die allgemeine Stimmung ziehen wollen.
Das deutsche Fernsehen stellt sehr oft die islamische Gemeinde dar (siehe das Programm Türkisch für Anfänger), und es gibt verschiedene in der Türkei geborene Politiker in allen deutschen Parteien (Ozdemir, Emine Demirbüken, Lale Akgün, Ekin Deligöz). Tut die deutsche Gesellschaft genug für ihre Integration?
Das Thema wurde über Jahrzehnte völlig ignoriert, und jetzt habe ich den Eindruck, daß manche plötzlich ganz hysterisch geworden sind, weil sie sehen, daß Einwanderung auch Schattenseiten hat. Jetzt sehen sie nur den Schatten. Aber insgesamt fühle ich mich sehr wohl in Deutschland und vor allem in Köln. Die zweite, dritte Generation von Migranten dringt allmählich in die Eliten vor und wird sich durchsetzen. Und Deutschland ist bereits viel offener geworden, wenn man es mit den muffigern Fünfziger Jahren vergleicht.
Gibt es ein deutsches Modell der Integration, unterschiedlich von dem französischen laizistischen und dem englischen multikulturellen Modell?
Es ist eine andere Situation, insofern Deutschland keine große koloniale Vergangenheit hat und die meisten Einwanderer aus der Türkei stammen, aus ländlichen Gebieten. Das hat sich insgesamt als ein Vorteil erwiesen, einfach weil die Türkei nicht ganz so viele Probleme hat wie die arabische Welt. Anders ist auch das Verständnis von Säkularität in Deutschland. Der deutsche Staat ist nicht laizistisch. Das macht es für andere Religionen schwerer, ihren Platz zu finden. Der französische Staat behandelt, etwas überspitzt formuliert, alle Religionen gleich schlecht. In einer multireligiösen Gesellschaft ist das ein Vorteil. Da sagt man: keine religiöse Symbole in der Schule – basta. Dann ärgern sich viele, aber niemand kann sagen, daß der Staat die einen besser behandelt als die anderen. Der deutsche Staat hat traditionell ein enges Verhältnis zu den Kirchen und seit 45 auch zur jüdischen Gemeinde. Und nun wollen die Muslime plötzlich auch so privilegiert behandelt werden – das ist schwierig. Das führt unter anderem dazu, daß in manchen Bundesländern die religiösen Symbole der Christen und Juden zugelassen sind oder sogar an den Klassenzimmern hängen, die der Muslime aber nicht. Das verursacht ein Unbehagen, egal wie der einzelne Muslim oder die Muslimin sökular auserichtet ist oder eher orthodox, ob er das Kopftuch für eine religiöse Pflicht hält oder nicht. Er nimmt wahr, daß seine Religion nicht gleichbehandelt wird. Dafür haben die Deutschen mit dem Grundgesetz eine exzellente Verfassung, die für Minderheiten der beste Schutz ist.
Stimmt es, dass Wolfgang Schäuble mehr für die Integration der deutschen Muslime tut, als die alte rot-grüne Regierung?
Jedenfalls macht er sehr viel mehr als sein sozialdemokratischer Vorgänger Otto Schily. Die Grünen haben schon einiges bewirkt, auch wenn sie von der SPD oft ausgebremst worden sind. Aber vor Rot-Grün war es noch beinah ein Tabu zu sagen, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist. Daran kann man sich kaum noch erinnern, dabei ist es keine zehn Jahre her, daß ein deutscher Kanzler – und mit ihm jene Medien, die heute am lautesten schreien – vollständig ignorierte, wie rasant Deutschland sich in den letzten Jahrzehnt verändert hat. Mittlerweile hat ein Drittel der deutschen Gesellschaft einen sogenannten Migrationshintergrund. Natürlich verursacht das Probleme, Mißverständnisse, Ängste. Es sterben Menschen, sei es als Opfer von Rechtsradikalen oder als Opfer archaischer Ehrengesetze in manchen Migrantenmileus. Vertreter des Islams werden von Deutschen bedroht, und Kritiker des Islams werden von Muslimen bedroht. Wenn viele Menschen aus einer anderen Kultur in eine neue Kultur kommen, ist das nicht gemütlich. Aber wenn sich einmal das Ausmaß der Einwanderung und der damit verbundenen Veränderungen vor Augen führt und sich dann noch erinnert, daß all dies bis vor wenigen Jahren sich praktisch ohne jede Integrationspolitik und ohne eine öffentliche Debatte vollzogen hat, muß man, wie ich finde, sagen: Das ist insgesamt nicht so schlecht gelaufen.