«Leider gibt es bisher keine wirkliche Mittelklasse»
Arend Oetker interviewt von Nina zu Fürstenberg 10 February 2011

Herr Oetker, wie haben sie persönlich und als Industrieller auf die Krise in Ägypten reagiert?

Wir hatten die Fabrik für die ersten 2 Tage geschlossen, die eigenen Leute mussten natürlich geschützt werden. Ein Plünderungsversuch wurde erfolgreich von uns abgewehrt. Jetzt arbeiten wir wieder, schließlich ist die Erdbeerernte in vollem Gange. Wir haben bereits die tunesische Krise überstanden, aber es nicht vorbei – Machtwechsel stehen früher oder später in benachbarten Ländern an. Ich denke z.B. an Libyen oder an Jemen, wo bereits Unruhen ausgebrochen sind.

Sie haben den Markt Ägypten und das soziale Verhalten dort analysieren lassen: Gibt es eine Mittelklasse, die fähig wäre, eine wirkliche demokratische Zukunft aufzubauen?

Nein, leider gibt es bisher keine wirkliche Mittelklasse, weder was die Wohlstands-, noch was die Altersverteilung angeht. Ebenso wie in anderen arabischen Staaten macht die Anzahl der 15 bis 29 Jährigen etwa 30Prozent der Bevölkerung aus. Auf jede Frau kamen früher durchschnittlich 6-7 Kinder. Heute sind es noch 3 Kinder, was immer noch doppelt so viele sind wie bei uns. Hier drängt eine Jugend nach oben, für die es keine Arbeitsplätze gibt und für die es um das reine Überleben geht. Wir sind als weit entfernt von einer Mittelschicht. Auch in Spanien gibt es heute eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, aber diese Jugendlichen werden von der Familie aufgefangen. Bei 1-2 Kindern ist das machbar, aber nicht bei fünf oder mehr. Für jede Regierung ist das ein Problem. Mubarak hat natürlich versucht, dies zu stabilisieren. Das Problem, das den Kern dieser Revolution ausmacht, ist also nicht neu.. Jugend ohne Zukunft und Perspektiven; Jugend, die nichts zu verlieren hat, ist immer schon der Zündstoff für Aufruhr gewesen.

Ihr Beitrag zu mehr Wirtschaftswachstum und Ausbildung ist also ein Schlüssel zu einer besseren Zukunft. Wie lange engagieren sie sich bereits in Ägypten?

Wir haben in den letzten 10 Jahren einen guten Markt in Ägypten aufgebaut mit unserem Management von Hero und zwei ausgezeichneten lokalen Minderheitenpartnern, von denen der eine bis vor kurzem in der Regierung saß und der anderen aus der liberal konservativen Opposition kommt. Die Vision war es, die Kompetenz für die Fruchtverarbeitung in Ägypten zu bündeln und von hier aus die gesamte Region, also 22 islamische Staaten, zu beliefern. Hero hat eine lange Tradition in der Herstellung von Konfitüren, Honig und Fruchtsaftprodukten. In unserem ägyptischen Werk verarbeiten wir Früchte, die in der Region angebaut werden. Dafür haben wir natürlich genau den Markt und die Menschen hier studiert, um zu verstehen ob es überhaupt in der entstehenden Mittelschicht Bedarf für so ein Produkt gibt. Natürlich mussten wir günstiger produzieren, um der Kaufkraft der wie gesagt kleinen Mittelschicht zu entsprechen. Langsam bauen wir diesen Markt auf. Immerhin gibt es 80 Millionen Ägypter. Dieser Marktaufbau bedeutet natürlich, dass Arbeitsplätze geschaffen werden und die Mitarbeiter für sich eine Zukunftsvision entwickeln können.

Und die deutsche Universität, an der sie stark beteiligt waren?

Sie wurde von einem in Deutschland studierten Ägypter, Herr Mansour, mit ägyptischen und deutschen Geldern vor 10 Jahren aufgebaut. Ich habe mich stark engagiert und das hat sich gelohnt. Heute studieren dort 7000 Studenten und die Zahl steigt stetig. Die akademische Qualität ist sehr hoch und wir haben einen Campus mit Anbindung an die Industrie, die dort ihre Produkte und Maschinen nicht nur vorstellt, sondern die Studenten auch schult. Unterrichtet wird auf Englisch, aber auch Deutsch wird angeboten. Hier wird der Aufbau einer Mittelschicht gefördert. Dieses Austauschmodell ist ein Erfolgsmodell, von dem Ägypten ebenso profitiert wie wir. Früher war die Amerikanische Universität in Kairo etwas ganz besonderes, eine Art Eliteeinheit. Heute hat sich das verändert, und zwar zu Gunsten der deutschen Universität.

Aber Amerika hat einen sehr starken Einfluss auf den Nilstaat?

Der Einfluss Amerikas schwindet, er war vor 10-20 Jahren viel stärker. Das liegt einerseits an Amerika und an seiner gegenwärtigen Finanzschwäche, andrerseits an dem Verlust seiner Glaubwürdigkeit und damit seiner Basis, zum Beispiel durch den Irakkrieg. Der europäische Einfluss wächst stattdessen langsam und stetig. Wenn sich unser Modell der Universität und des wirtschaftlichen Wachstums, wie durch meine und andere Fabriken multiplizieren lassen würde, dann wäre schon viel erreicht. Es fehlt hier an einer klaren Vision, wie wir sie in Bezug auf die Türkei erlebt haben, und es fehlt an einem Zeitplan und Programm von Entwicklungsphasen.

Wie sehen sie die weitere Entwicklung, wird Mubarak gehen?

Mubarak hat ja gesagt: “ich will in Ägypten sterben”. Das Exil ist für einen Nationalisten, wie ihn eine Schande. Mir scheint, dass es die Intention der Armee ist, Mubarak einen würdigen Abgang zu verschaffen.

Welche Rolle hat die Armee heute? Hat sie nur militärische Macht oder auch wirtschaftliche?

Die eigentliche Macht liegt seit 60 Jahren bei der Armee. Mubarak, Sadat und Nasser sie sind alle mit der Armee stark geworden. Die Armee kontrolliert auch weite Teile der Wirtschaft, sie ist zudem Selbstversorger, schützt die Energieversorgung, und die Landwirtschaft mit ihren weitverbreiteten Subventionen. Sie hat sich auch geschickt verhalten und will nicht eingreifen, wenn nicht unbedingt nötig. Aber ganz übersichtlich ist die Lage ja nicht und den Wenigsten scheint klar zu sein, welche Rolle die Armee genau spielt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass die Militärs eine Einheitsregierung anstreben unter Einbezug der verschiedenen politischen Kräfte.

Wenn es einen ernstzunehmenden Demokratisierungsprozess gibt, wer könnte ihn führen?

Wer das führen soll, weiß ich nicht. Ein langsamer Demokratisierungsprozess wird sich jedenfalls entwickeln. Ich könnte mir als Lösung eine Übergangsregierung vorstellen. Unter Mubaraks ehemaligen Rivalen gibt es gute Leute, wie zum Beispiel Amr Moussa. Al-Baradei ist in gewissem Sinne für die Internationale Atombehörde „im Exil“ gewesen, Mussa als Generalsekretär für die Arabische Liga. Beide sind somit nicht wirklich im Volk verankert. Auch der jetzige Vizepräsident, der ehemalige Sicherheitschef ist ein sehr starker Mann. Natürlich ist er mit Mubarak verbandelt, das könnte auf Widerstand stoßen. Ich glaube persönlich, dass das Land reif für einen allmählichen Demokratisierungsprozess wäre.

Das Demokratiemodell der Türkei, heute als Vorzeigemodell gepriesen, ist es für Ägypten brauchbar?

In der Türkei wirkte der EU Antrag auf Mitgliedschaft an sich als stimulierendes Entwicklungsprogramm, um Volk und Wirtschaft zu mobilisieren und um ähnliche wirtschaftliche, politische und vor allem rechtliche Standards durchzusetzen. Die Menschenrechte sind zwar nach wie vor auch in der Türkei kein einfaches Kapitel, und die Glaubensfreiheit von Minderheiten wie der Christen noch nicht gelöst. Aber insgesamt haben wir es mit einer viel weiter fortgeschrittenen Entwicklung zu tun. Ägyptens Entwicklung liegt vielleicht 15 bis 20 Jahre hinter der Türkischen zurück. Wir haben es mit ganz verschiedenen Entwicklungsphasen zu tun.

Die neuen Kommunikationsmedien, spielen die eine große Rolle?

Ja, natürlich beschleunigen die Kommunikationsmedien diesen Prozess – Smartphones, Facebook, Twitter. Aber wie man damit umgeht und was man daraus macht, um Wertschöpfung im Land zu kreieren, dazu bedarf es eines anderen Bildungssystems und einer umfassenderen schulischen Ausbildung. Das Volk muss selbstständiger Denken und agieren lernen. Das Bildungsniveau der Masse ist sehr niedrig. Ich weiß nicht, wie man das von außen her beschleunigen kann. Vor allem braucht es dazu eine visionären Führung im Land, die den volkswirtschaftlichen Rahmen im Blick hat und Kooperationen anstößt. Und es braucht eine starke Identifizierung der Führung mit dem Volk.

Was kann getan werden, um die Entwicklung und die Demokratisierung zu stützen?

Die EU hat sich während der letzten Jahre mit sich selbst und mit der Finanzkrise beschäftigt. Sie muss sich mehr Gedanken machen, wie sie Länder wie Ägypten fördern kann. Die Ära Mubarak geht zu Ende, aber es wird wieder eine Führung geben, ob es sich hier um einen weiteren, herausragenden „Pharao“ handeln wird, ist offen. Das wäre jedenfalls nicht richtig, es bräuchte eine Führung, die demokratischer legitimiert ist. Diesen Prozess sollte die Völkergemeinschaft also z.B. die EU, die USA und die UNO fördern. Die Arabische Liga ist zu schwach, irgendeine Vision zu verwirklichen, die Idee eines gemeinsamen Marktes beispielsweise, davon sind sie sehr weit entfernt, denn alles ist noch sehr national. Auch die Mittelmeerunion hat keine Antworten gebracht.

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